Das Tablet wird kein e-Book Reader

Durch meine Arbeit bei einem Verlag und durch meinen nicht geringen Konsum von Büchern komme ich ziemlich häufig ins Grübeln, wie die Zukunft des Lesen aussehen wird. Da ich zusätzlich auch noch ein Gadget-Fan bin und die Entwicklungen der technischen Möglichkeiten verfolge, habe ich mich einmal hingesetzt und mir über die jetzige Situation und das, was da wohl kommen wird, Gedanken gemacht.

Zielgruppen und Inhalte haben jeweils passende Medien

Im Sinne der Argumentation muss man verschiedene Medien und Leser unterscheiden: Momentan gibt es “Heavy Leser” (zu denen ich mich selber zähle), die täglich viele Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und Blogs oder andere online-Medien lesen, kaufen, speichern oder ins Regal stellen. Im anderen Extrem gibt es den “Light Leser”,  der dann liest, wenn er muss, also im Beruf, oder im Urlaub, wenn er mal zu einem Buch oder anderem kommt. In der Mitte findet man den Leser, der sich entweder in einige wenige Medien verstärkt vertieft (der Zeitschriften- oder  Zeitungsleser, Blogleser oder Bücherfan) oder von allem ein wenig hier und da konsumiert. Dieser Mittelfall trifft den Hauptteil der Konsumenten, muss aber im Sinne dieses Artikels nicht weiter eingegrenzt werden.

Auf der Medienseite ist vor allem in der Länge (und “Tiefe”) der Texte und der Frequenz oder Aktualität zu unterscheiden. Logischerweise verlangen Bücher und aufwendig recherchierte Artikel in Zeitungen und Zeitschriften eine sehr Text- und Lesbarkeits-orientierte Darstellung in Medium und Formatierung. (Fach-) Nachrichten müssen besonders einfach und schnell zu überfliegen sein, im Zweifelsfall aber auch die Möglichkeit bieten, einer Sache tiefer auf den Grund zu gehen (siehe Handelsblatt-Relaunch). Boulevard- und “Entertainment”-Nachrichten (im Sinne von unterhaltsamem Lesen) werden mit vielen Bildern unterstützt und erlauben ein einfaches “Skimmen” ohne große Konzentration.

Die heutigen (Print-) Medien haben sich in vielen Jahren an diese Zielgruppen und Inhalte angepasst und sind Meister ihres Faches. Ich halte persönlich nichts von Aussagen wie “Zeitung gelesen wird immer” oder auch “Ich brauche das haptische” (mein Favorit). Diese Standpunkte übersehen die Realität – es wird sich etwas ändern, weil wir uns an elektronische Medien gewöhnt haben und eine Trennung der Inhalte langsam nicht mehr akzeptieren (“Print ist doch eh tot” zählt aber auch nicht, damit das klar ist. Natürlich wird es Zeitungen und Bücher weiterhin geben).

Status Quo – erste Schritte zur Konvergenz und Early Adopter

Momentan gibt es online-Darstellungen eigentlich sämtlicher Tages- und Wochenzeitungen, Magazine haben ihre Websites und ergänzen dort oft ihre Inhalte. Beinahe alle Inhalte der Kategorie “Nachrichten” sind online erhältlich, ob nun frei oder gegen Bezahlung. Bücher können auf e-Readern gelesen werden und dank Mobilfunktechnologie überall auf der Welt “eingekauft” werden, zum Beispiel durch die Whispernet-Technologie von Amazon. Auch auf den Mobiltelefonen ist es (vor Allem natürlich durch Apple) mittlerweile möglich, Bücher, Magazine und Zeitungen zu lesen. Meistens sind die Nutzer von e-Books und Nachrichten-Apps heute aber noch die absoluten Heavy-Leser. Der Großteil der Bevölkerung bleibt bisher beim Print-Produkt.

e-Reader sind noch in den Kinderschuhen, so hat Amazon 2009 erst die zweite Version des Kindle vorgestellt, mit angeschlossenem Bücherladen und weltweitem, freiem, Netzzugang. Sony hat bereits seit einigen Jahren e-Reader im Angebot, die Adaption hält sich jedoch bis heute in Grenzen. e-Reader sind vor natürlich vor Allem für lange Texte und Vielleser interessant, da sie ihre Stärken in diesem Bereich ausspielen können und ihre Schwächen insgesamt zu vernachlässigen sind. Der Schlüssel ist hierbei das Display auf Basis von e-Ink, das eine Darstellung ohne das ermüdende Hintergrundlicht eines LCD-Displays erlaubt. Die Pixel richten sich bei jedem Ladevorgang entweder Schwarz oder Weiß aus, so dass das Resultat sehr nah an eine gedruckte Seite kommt. Ryan Singer hat in einem Blogpost erklärt, warum Vielleser die Probleme wie eine langsame Ladezeit bei neuen Büchern und das problematische Tippen auf der Kindle-Tastatur akzeptieren – Das Leseerlebnis ist einfach gut genug, um diese Faktoren zu übersehen (What’s the suckage to usage ratio?, Ryan Singer, Signal vs. Noise Blog). e-Reader sind ein absolutes Single Purpose Device, wie Spiegelreflexkameras für Fotografen sind sie also vor allem “Leseprofis” und Heavy Reader gedacht (Hunderte von Büchern in der Tasche, direkte Verfügbarkeit, elektronisches Mark-up und Kommentieren, etc.).

Aufgrund bestehender Probleme (langsame Verbindungen, mühsames Laden neuer Texte, hoher Preis), aber auch aufgrund des meist nicht ganz “offenen” Designs der Lesegeräte (keine RSS-Feeds, nicht alle e-Reader erlauben das Hochladen beliebiger Formate, etc.) sind die Geräte weder für Wenigleser noch für Nachrichtenjunkies oder Blogleser interessant. Vor allem Die Leser, die sich an die Möglichkeiten gewöhnt haben, die ein einfacher Browser beim Lesen von Blogs und Nachrichtenseiten bietet (Kommentieren, Bookmarken, Schnell Viel Lesen), kommen hier nicht auf ihre Kosten und Verzichten auf die positiven Effekte beim Lesen von langen Texten.

iPhone-Applikationen reichen zum Lesen von Häppchen und zum schnellen überfliegen von meist kurzen Texten. Weder der Bildschirm noch die Größe erlauben das gemütlich Lesen von langen Texten. Die Nachteile des Computer-LCDs werden hier verstärkt, auch wenn manch einer behauptet, ein iPhone wäre alles, was er zum Lesen brauche.

iTunes und das Tablet sollen es richten

Seit Monaten wird über das wohl kommende Tablet von Apple spekuliert, welches eine Art Riesen-iPhone sein soll (ca. 10 Zoll Touchscreen, alles Andere ist noch Spekulation), mit dem man im Internet Surfen und Medien aller Art konsumieren können soll. Es wird wohl Ende Januar 2010 vorgestellt werden und dann im Laufe des Frühjahrs auf den Markt kommen. Ich möchte nicht auf die verschiedenen Spekulationen eingehen, auf welche Art und Weise unser “Personal Computing” revolutioniert werden soll (das können Andere besser und informierter), sondern mich auf die wahrscheinlichen Gegebenheiten für die Verlage und Content-Produzenten fokussieren.

Viele Inhalte-Inhaber freuen sich auf das Tablet von Apple, da ihnen wohl nach Vorbild des App Stores und iTunes eine Plattform geboten wird, die es erlaubt, kontrolliert und mit einem digitalen Rechtemanagement versehen, die eigenen Inhalte zu verbreiten. Verschiedene Verlage experimentieren jetzt schon mit iPhone-Apps, die zum Beispiel Abonements und häppchenweises Kaufen von Inhalten ermöglichen. Nun wird spekuliert, ob für das neue Tablet der Inhalt des iTunes Store aufgebohrt wird, um auch Texte anzubieten, die auf dem Tablet schön dargestellt werden könnten.

Ich halte das, zumindest nach Vorbild der Musik-Abteilung, für sehr unwahrscheinlich. Im Fall von iTunes hat Apple hier mit wenigen Major-Labels zu tun, die einen großen Anteil des Marktes beherrschen. Nach Einigung mit den großen Labels musste iTunes sich nicht mehr um Verhandlungen kümmern, um den Store weiter erfolgreich zu machen. Durch das Vorhandensein der kritischen Masse auf beiden Seiten (Content und Nutzer) mussten alle kleinen Labels sich mit den gleichen (oder schlechteren) Konditionen zufrieden geben, wie die großen Labels. Anfang 2009 hat Apple den Inhalt zu ca. 80% auf DRM-freie Formate umgestellt, mittlerweile gibt es kein DRM mehr. Die Labels hatten bei Apples Verhandlungsstärke keine Chance, das zu verhindern.

i don’t think so

Im Verlagsbereich gibt es keine ähnliche Monopolstellung, vor allem nicht weltweit. Apple wird es sich also schenken, mit allen Verlagen einzelne Verhandlungen zu führen. Stattdessen wird meiner Meinung nach entweder ein Standard-Modell eingeführt oder alle Inhalte werden durch Applikationen im App Store an den Endkunden gebracht. Die letzte Variante halte ich dabei für wahrscheinlicher. Das Tablet wird nach dem unglaublichen Erfolg des App Stores eines ähnlich eng kontrollierte Infrastruktur bekommen wie das iPhone (Warum ich gegen ein solches zentral kontrolliertes System bin, habe ich hier geschrieben). Ob technisch nun eine Art iPhone Betriebssystem oder ein volles OSX darunter liegt, ist dabei egal – es wird wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen. In beiden Fällen bekommt Apple die aus der Veröffentlichung von Applikationen gewohnten 30% des Umsatz direkt ausgezahlt, dafür stellt es sein Abrechnungssystem und die Distribution zur Verfügung.  Die Inhaber der Texte müssen sich also mit diesem Modell herumschlagen, ob sie wollen oder nicht.

Aufgrund dieser Entwicklungen werden andere Anbieter und Hersteller mit ihren Produkten neben Apple ohne Zweifel weiterhin bestehen können. Verschiedene Distributionsmechanismen und Endgeräte bieten den Verlagen und Autoren Wege, Ihre Inhalte zu verbreiten, auch ohne Apple. Der Fokus von Apple ist sowieso klar: es geht hauptsächlich um die breite Masse, also Nachrichteninhalte und Magazine. Diese kann man ideal mit einem dedizierten Apple-Format (ergo durch iTunes) oder in eigenen Applikationen (ergo Appstore) darstellen.

Ich bin auch weiterhin der Meinung, dass die heutigen e-Reader und zukünftige Weiterentwicklungen ein tolles Angebot für Vielleser darstellen. Der kleine Formfaktor und die angenehme Ansicht sind zwei Punkte, die mich davon überzeugen. Ich warte allerdings noch auf einen e-Reader, der es mir erlaubt, neben Büchern auch Blogs und Nachrichten zu lesen, wie ich es heute im Browser tue. Das bedeutet: schnell, mit Funktionen wie Kommentieren, Bookmarken, Weiterleiten und Markieren. Bis es so weit kommt, warte ich auch gerne noch ein bisschen.

EDIT: kurzer Nachtrag hier.

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3 Comments

  1. Danke Philipp für den Post. Ich persönlich verstehe überhaupt nicht den Hype um's Kindle herum. Du sagst es ist der kleine Formfaktor und die angenehme Ansicht, die dich überzeugen. Zusätzlich höre ich öfters Argumente wie: Bücher gibts dann günstiger, man kann sie jeder Zeit downloaden, nimm alle deine Bücher mit… egal wo du hingehst etc. Das klingt alles ganz gut, aber das ist Technik die mich vorstellen lässt “wie cool es doch wäre wenn ich… (nimm einfach eins der Argumente von oben und füge sie bitte hier ein)”. Keins dieser Features ersetzt das was ich schon mache. Ausserdem kostet das Ding mich min. $260 und ich weiss nicht ob ich damit an den Strand gehen möchte. Geklaut kann es auch noch werden und ich hab die Befürchtung, dass ein e-reader mir nur mehr Sorgen zubereitet. Ich kann Freunden keine Bücher mehr leihen (ring, ring), kann nichts mehr mit meiner unleserlichen Schrift reinschreiben und wenn ich Kaffee über mein Buch spucke, weil mich diese Stelle im Buch zum lachen bringt sehe ich auch alt aus. Die Idee des e-Books ist Konsum-orientiert. Es geht darum Bücher und Texte zu konsumieren. Ich bin kein Fan von den Sachen die dieses Verhalten ankurbeln wollen, ohne mir die Möglichkeit zu geben vom Konsumenten zum Produzenten zu werden. So gesehen kann ich deinem Vergleich zwischen eBook und DSLR Kameras nicht nachvollziehen, denn DSLR Kameras geben uns die Möglichkeit etwas zu schaffen. Von Partyfotos bis zu den schönsten Bildern von Momenten, die wir sonst nie gesehen hätten. e-reader hingegen haben nicht diese schaffende Funktion und somit sehe ich sie nicht als Profi-Werkzeug für Heavy Leser. Es ist nicht wichtig was man ließt, sondern was man draus macht. Sry, aber mein Kommentar ist doch ein wenig durcheinander. Jedenfalls verstehe ich nicht den Hype und mich würde viel mehr interessieren was danach kommt.
    Was für eine “schaffende” Funktion könntest du dir unter den e-readern vorstellen? Was ist die nächste Entwicklung von e-Readern?

  2. Das meine ich mit dem Argument der “Pro-Leser”. Wenn man pro Jahr sehr viele
    Bücher liest (weil man in der Verlagsbranche arbeitet, einfach gerne liest,
    oder ähnliches), ist ein e-Reader meiner Meinung nach sehr sinnvoll. Man
    kann nämlich die angesprochenen Features wirklich nutzen – Bücher schleppen
    ist für einen Vielreisenden in diesem Fall ein wirkliches Problem.

    Ich habe, entgegen deiner Argumentation oft das Bedürfnis, Zitate aus
    Büchern zu bloggen, weiter zu leiten oder zu verschicken. Wenn ich diese
    dann (wie ich es oft tue) mit Post-its markiere, vergesse ich das ganze
    hinterher oder habe keine Lust, es abzutippen. In meinen “elektronischen”
    Workflow (Bloggen, Items im Reader “sharen”) passt Print also nicht gut
    herein. Daher wünsche ich mir die angesprochenen Funktionen.

    Im meinem Post zu Heavy Users als
    Vorhersage<http://www.philippmoehring.de/2010/heavy-user-sind-die-beste-vorhersage/>ist
    das Thema auch aufgegriffen, lies auch mal den verlinkten Artikel. Er
    geht auf diese Themen ein.

    Last but not least ist der Preis natürlich noch die prohitive Komponente.
    Als passionierter, aber nicht exzessiver Leser sind 260 Dollar eben nicht
    ganz ohne. Das wird sich aber sicherlich auch noch ändern…

    2010/1/10 Disqus <>

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