Meine Timing-Theorie zur Deutschen Startupszene

Ich habe eine persönliche Theorie zu der momentanen Problematik in Sachen “nicht genügend innovative Ideen und Startups”. Diese rührt vor allen Dingen von meiner Erfahrung im Job, allerdings ist auch ziemlich viel einfache Logik dabei. Meiner Meinung nach gibt es drei hauptsächliche Gründe, die für die momentane Lage verantwortlich sind.

Finanzkrise und stotternde Modelle aus 2007 & 2008

Nachdem die Deutsche Startup-Szenerie sich in den Jahren 2006 und 2007 spürbar entwickelt hat, sind in 2008 weniger aggressive Neuentwicklungen gekommen. Schon die erste Abflachung beziehungsweise Ernüchterung bei werbefinanzierten Modellen war bezeichnend. Nachdem StudiVZ mit dem Exit an Holtzbrinck das erste “2.0” Vorbild geliefert hat, waren sowohl Kapital als auch Ideen und eine gesunde Aufbruchstimmung vorhanden. Die Gründer, die in den Jahren 2006 bis 2008 Erfolgsgeschichten verkaufen konnten, haben sich massiv als Business Angel betätigt und so eine ideale Grundvoraussetzung für eine Szene in Deutschland geschaffen. Leider haben sich viele dieser Investments in 2008 ohne die passende Anschlussfinanzierung wiedergefunden (trotz HTGF und neuen VC-Fonds, wie nicht zuletzt meinem Arbeitgeber DuMont Venture). Der Grund dafür lag wohl vor allen Dingen an den weniger nachhaltigen Geschäftsmodellen, die (zugegebenermaßen wie die Vorbilder in D und USA) zu einem großen Teil auf Werbung gesetzt haben. Zusätzlich haben sich viele der Startups nicht so weit entwickeln können, dass Investoren und potentielle Käufer Schlange standen.

Die Werbe- und Finanzkrise ab Ende 2008 hat ihr übriges zu den Problemen dieser Firmen beigetragen. Dass in Deutschland nicht mehr Firmen in die Insolvenz gegangen sind, ist eigentlich schon fast ein Wunder. Was man allerdings seit Ende 2008 schmerzhaft mit ansehen musste, war eine extreme Sparpolitik in den einzelnen Startups, die viele Gründer ausgelaugt und gestresst hat. Investoren haben sich zu einem großen Teil auf das eigene Portfolio konzentriert, was in einer solchen Situation auch Sinn macht. Wahrscheinlich hätte bei manchen Firmen ein beherzter Schritt zum Amtsgericht Sinn gemacht, das ist jedoch für keinen Beteiligten einfach.

Strukturell bedingte Inflexibilität bei Startups

Direkt im Anschluss an die ersten Schocks der Finanzkrise war eigentlich allen klar, dass die Modelle aus den vorherigen Jahren nicht weiter funktionieren konnten. Ein extremer Innovationsschub aus den USA war schon im Laufe des Jahres 2008 ersichtlich, so haben vor allen Dingen die gut finanzierten Schwergewichte Facebook und Google ein Feuerwerk an Services und Neuentwicklungen gezeigt (Open Social und Facebook Connect, Android & iPhone Apps, Wave, etc.pp.). Das neu aufgekommene Real Time Web um Twitter und Co sowie die neuen journalistischen Modelle wie die Huffington Post wurden durch die Präsidentschaftswahl und die resultierende Aufmerksamkeit sehr stark gefördert. Es geht schließlich immer noch um Eyeballs.

Um so schwerer taten sich die schwach finanzierten Firmen im Deutschen Markt, neue Entwicklungen konsequent umzusetzen oder gar auf den Weg zu bringen. Startups haben per Definition nicht viele Ressourcen, durch das aufklaffende Loch auf der Finanzierungsseite hat sich diese Situation nur noch verschlimmert. Die Vorsicht der Investoren im eigenen Portfolio hat mutige Schritte in neue Geschäftsfelder nicht erlaubt, was meiner Meinung nach auch niemandem übel genommen werden kann. Wie bereits erwähnt ging es hier auch und vor Allem um Schadensbegrenzung.

Verschiebung des Fokus auf spätere Phasen und sichere Geschäftsmodelle

Die noch in 2006 und 2007 sehr aktiven Business Angels haben sich im Laufe der folgenden Jahre entweder fast komplett vom Markt zurückgezogen oder sich auf das bestehende Portfolio oder Eigenentwicklungen konzentriert. So haben sich mehrere potente Netzwerke entwickelt, die mittlerweile aus der Finanzierungsszene nicht wegzudenken sind. Der Fokus liegt dabei auf sicheren Geschäftsmodellen, die wiederum eine Lücke am Markt geschickt ausnutzen: der Handel wird ins Internet verlegt, die klassischen Anbieter haben wegen der Finanzkrise jedoch oft weder Zeit noch Kapital, um sich den neuen Märkten zu widmen. Da es wiederum wenige selbst oder privat finanzierte Startups gibt, haben Investoren die Möglichkeit, erfolgreiche Modelle auf große Märkte zu legen, die online bisher vernachlässigt wurden. Eine bestehende Infrastruktur mit erprobten Technologien, Strategien und Teams ist somit in der Lage, schnell verschiedene Nischen abzudecken.

Die Finanzierungsseite ist dabei auch klar positioniert: der Fokus von VC-Gesellschaften liegt auf Modellen, die bereits die ersten Schritte hinter sich haben und eine positive Marktreaktion bekommen (ein toller Post von Andrew Chen zum Thema Risiko). Eine solche Infrastruktur und die generische Natur der Angebote macht die eCommerce Modelle somit zu einem reinen Execution-Thema – auf dieser Seite haben sich die Inkubatoren bestens bewährt (Jochen Krisch und Joel Kaczmarek schreiben dazu treffende Analysen).

Fazit: jetzt geht es wieder los

Ich bin mir sicher, dass es 2010 wieder einige hochinteressante Modelle zu sehen geben wird. Viele Teams haben sich in diesem Jahr zusammen gefunden und trotz der widrigen Situation die ersten Entwicklungen hinter sich gebracht. Ein Startup von der Idee zur Gründung oder gar zum Produkt zu bringen, ist bedeutend langwieriger, als man erwarten mag. Wo in vergangenen Jahren Business Angels die Grundlage geschaffen haben, um erste Schritte zu probieren, haben sich in diesem Jahr viele gute Dinge entwickelt – oftmals Abends, an Wochenenden oder aus bestehenden Firmen heraus. Die Gründer dieser Firmen können jetzt schon erste Produkte aufweisen, haben teilweise bereits Umsätze oder konnten Modelle entwickeln, die vorerst ohne externe Finanzierung auskommen. So zeigt sich ein weitaus gesünder und organischer gewachsenes Bild an Firmen, die in den kommenden Jahren die Früchte Ihrer harten Arbeit ernten werden. Investoren haben wieder interessante Optionen und auch Blogger haben endlich nicht mehr ganz so viel über die langweilige Deutsche Szene zu klagen.

Auch die Firmen, die in den letzten Jahren beachtliche Erfolgsgeschichten aufbauen konnten, werden von diesen Entwicklungen profitieren. Wer es in den harten Zeiten geschafft hat, eine loyale Kundenbasis zu akquirieren, Finanzierungen abzuschließen und eine sparsame Organisation aufzubauen, der wird es in einem hoffentlich angenehmeren wirtschaftlichen Umfeld auch zu neuen Höhen schaffen. Denn auch diese Firmen gibt es zuhauf in Deutschland. Das sollte man trotz allen traurigen Nachrichten nicht vergessen.

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9 Comments

  1. guter Artikel; ein weiterer wichtiger Faktor ist, das man eine Aktiengesellschaft bzw. eine US Corp. ohnen großen finanziellen Aufwand gründen kann in den USA, und wenn die Story stimmt, kann man über Shares / Genusscheine das going public anstreben, ohnen dazu verdonnert zu werden, falls man es nicht zu schaffen kann. In Deutschland undenkbar. Börse klingt hier zu zu groß und unerreichbar. Start Up haben einfach in den USA die Möglichkeit höhere Kapitalrunden abzuschließen, ohne das Banken, Investoren, VC, Business Angels und andere großen Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben, dadurch schafft man schnelleres Wachstum und bremmst die Unternehmen nicht gleich aus, weil genügend Kapital und Investitionsoptimismus vorhanden ist.
    In Deutschland undenkbar. Wir sind hier einfach noch zu steif und zu abhängig von dieser ganzen Investorenklicke und zu unflexibel in Risikozeiten ,wie bei der Börse sich antizyklisch in einem Unternehmen einzukaufen, dort wo es einfach am günstigten ist. Uns fehlt einfach hier in Deutschland noch der Globale Horrizont, um zu Erkennen, das ständig neue und große social community nach Europa gehen und sich breit machen und millionen von usern wegschnappen, doch die umgekehrte Variante, das europäische Netzwerke nach den USA oder Asien gehen ist wohl eher bei dieser Mentalität noch ein Wunschdenken.

  2. Die umgekehrte Variante ist schwieriger umzusetzen da es in den USA eine technologie-affinere Seed Gruppe gibt. IPO macht doch in den USA auch keinen Spaß mehr. Außerdem darf man das schiere Argument der Marktgröße nicht vergessen, in Europa wachse ich immer noch im deutschen oder französischen Markt, wenn IPO dann im deutschen usw…

  3. Super Artikel und interessanter Kommentar von Carlo.
    Ich denke, dass es in Deutschland einfach sehr wenige wirkliche Frühphasen-Investoren gibt. Nahezu kein Startup bekommt hier ein echtes Seed-Investment, mit dem Ziel das Produkt zur Marktreife zu bringen. Für ein “Seed-Investment” muss man in Deutschland das Produkt auf dem Markt haben und zumindest erste Umsätze erziehlen. Sehr interessant dazu ist auch dieses Video mit Aaron Patzer – irgendwie läuft das hier anders als in den USA:
    http://vimeo.com/6960507

  4. Ich finde, man kann es nicht wirklich an einzelnen “Schuldigen” festmachen,
    das würde es zu einfach machen. Insgesamt muss sich die gesamte Szene wieder
    aufraffen, um ein gesundes Ökosystem zu schaffen – ich denke, dass es da
    momentan wieder in die richtige Richtung geht. In den Staaten sind nicht
    alle schlauer, vor allen Dingen gibt es eine gewachsene Szene, in der es zum
    Beispiel viele Generationen an privaten Frühphaseninvestoren gibt. Die
    Anzahl der VCs ist auch bedeutend größer, wodurch wieder viel mehr große
    Startups entstehen.

    Der TC Artikel, den ich verlinkt habe, weist auf die Problematik der
    fehlenden Exit-Partner in Europa hin. Dort sehe ich ein weiteres Problem,
    das sich noch entwickeln muss: die Aktivität an M&A im Bereich kleiner
    Firmen ist fast zu vernachlässigen.
    Es ist insgesamt ein Henne-Ei Problem, in 2007 hat eben der StudiVZ Exit
    einige Eier gelegt. So etwas brauchen wir noch einmal, das würde das ganze
    beschleunigen.

    2009/12/8 Disqus <>

  5. Start Up haben einfach in den USA die Möglichkeit höhere Kapitalrunden abzuschließen, ohne das Banken, Investoren, VC, Business Angels und andere großen Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben, dadurch schafft man schnelleres Wachstum und bremmst die Unternehmen nicht gleich aus, weil genügend Kapital und Investitionsoptimismus vorhanden ist.

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